Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha
Santa Chiara

Staatstheater Meiningen

Premiere: 18. Februar 2022

Musikalische Leitung Philippe Bach
Inszenierung Hendrik Müller
Bühne Marc Weeger
Kostüme Katharina Heistinger
Dramaturgie Claudia Forner
Prinzessin Charlotte Christina Lena Kutzner / Deniz Yetim
Zarewitsch Alexej Johannes Mooser
Victor de St. Auban Patrick Vogel
Gräfin Bertha von Blankensee Marianne Schechtel /
Sandra Maxheimer
Alphonse de la Borde Tomasz Wija
Der Armenier Aurelius Rafael Helbig-Kostka / Pedro Arroyo
Geheimsekretär Herbert /
Der Archimandrit von Moskau
Mikko Järviluoto
Euphrosine Lisa Reimschüssel
Jewdokija Fjodorowna Lopuchina Gerlinde Buchheim
Der Herr Uwe Müller
Charlottens Stimme Anja Lenßen

weitere Vorstellungen: 1., 3. und 30. April sowie 11. und 22. Juni 2022

Sie nennen es „Ent-Heiligen“. Hendrik Müller und Marc Weeger holen gern die von Vätern, Tyrannen und Liebhabern an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebrachten Opernfiguren des 19. Jahrhunderts vom Sockel. Am Staatstheater Meiningen gab es eine tolle Gelegenheit für eine solche Großtat.
[Roland H. Dippel - Concerti, 20. Februar 2022]

Seit 1927 liegt [das Werk] in der Schublade, gilt als altmodisch, zu langatmig und gestelzt. Genau da liegt der Reiz, aber auch die Verantwortung, solche Kleinodien gegenwartstauglich zu gestalten und sie einem breiten Publikum zu erschließen. Gelingt es dem Regisseur, Charaktere zu entwickeln, die in romantischer Verkleidung in phantasievoller und dynamischer Kulisse zu Ikonen zu werden, greift das, wenn überdies die eingängige Musik in Bauch, Herz und Geist fließt. Die Bühne dreht sich unaufhörlich und nimmt Darsteller und Zuschauer mit auf eine Reise. Es gibt keine Längen. Ständig wechselnde Bilder und Räume, kurze Arien, überschaubare Handlung kommen dem Anspruch vieler entgegen, die Oper sonst langweilig finden. Ich glaube nicht, dass Ernst II. sich über diese Version seines Werkes ärgern würde, denn diese Interpretation zeigt wahrscheinlich mehr Tiefe als damals. Regisseur Hendrik Müller und Bühnenbildner Marc Weeger kreierten zusammen mit GMD Philippe Bach ein Klangjuwel in aparter Fassung.
[Inge Kutsche - Der Opernfreund, 21. Februar 2022]

[Charlotte] wird als Heilige Chiara zum Zentrum einer religiösen Sekte. Dafür hat ihr Marc Weeger jetzt eine Zirkusmanege mit Zuschauertribünen gebaut, die im offenen Kontrast zu der Zimmerflucht im Zarenpalast steht, der im ersten Teil auf der Drehbühne rotierte. Zwischen tableau vivant und blumenüberladener Aufbahrung der Toten samt Flucht mit übernatürlicher Hilfe. Als Heilige schwebt sie effektvoll aus dem Schnürboden ein. Spätestens, wenn ihre allesamt als (weiblichen und männlichen) Bräute gekleideten Anhänger dazu "Welch ein Anblick" singen, gibt es Lacher im Publikum, die wohl von der Regie einkalkuliert sind und etwas befreiendes haben. [...]
So weit das möglich ist, bewältigen Müller, Marc Weeger (Bühne) und Katharina Heistinger (Kostüme) diese Klippe [das schwache Libretto] mit gut dosierter Ironie. Dadurch schwebt, was todernst gemeint war, eine Handbreit über dem Boden.
[Joachim Lange - nmz, 19. Februar 2022]

Nun also wiederbelebt Meiningen das Stück nach hundertjährigem Dornröschenschlaf in der Regie von Hendrik Müller und der musikalischen Leitung von Philippe Bach. Und – oh Wunder! – dem Inszenierungsteam mit Marc Weeger (Bühne) und Katharina Heistinger (Kostüme) gelingt es, das schier Unvereinbare zu einem nachvollziehbaren Ganzen zusammenzufügen: Das haarsträubende Libretto mit der Musik, einem durchaus gekonnten Best-of-Potpourri aus Belcanto, deutschem Liedgut, Lortzings volkstümlichem Chorgesang, Wagnerschem Geist und eigenen Einfällen. [...] Die sich ständig langsam drehende Bühne verstärkt den Eindruck der Unentrinnbarkeit aus dem Milieu, zuerst aus den burgunderroten Zimmerfluchten des Kreml, dann aus einer knallroten Zirkusarena. Dort dirigiert die wiedererweckte Charlotte ihre in Weiß gewandeten, stets lächelnden Jünger wie eine Schäferin ihre Schäfchen. Allein dieses Bild führt die Idee der Librettistin von der Befreiung der geschundenen Seele ad absurdum. Die Theatermacher gehen mit großem Respekt vor dem musikalischen Können des Herzogs ans Werk und zerreißen die Geschichte nicht in der Luft. Dennoch drängt sich ein Titel für das Stück förmlich auf: "Charlotte – eine Frau will nach oben".
[Siggi Seuß - Mainpost, 21. Februar 2022]

Hendrik Müller und Marc Weeger überhöhten das Sujet mit optimierender Ironie und verspielter Exaltation, der Katharina Heistinger textile Glanzlichter aufsteckte. Im Hintergrund verrät ein Wandgemälde, wie sich Charlotte Christine selbst sieht: Als gedemütigte und um so strahlender rehabilitierte Genoveva – Heilige und Herrscherin! Schon in der ersten Viertelstunde zeigt sich, dass zwischen ihren leidenden Posen und Charlotte Christines Wille zur Macht doch geringfügige Unterschiede bestehen. Die roten Wände ihres Palais und das riesige Bett, auf dem sie aus Mangel an physischer Fürstenliebe ihren riesigen Teddy mit Küssen und Umarmungen malträtiert, könnte das Meininger Staatstheater sofort an Netflix fürs nächste Adelsepos verscherbeln. Brillanten glitzern mit dem Lächeln der Gesellschaftshyänen und den von Manuel Bethe flott getrimmten Chorstimmen um die Wette. Der den Ton angebenden Romanow-Mischpoke möchte man aber keineswegs zu nahekommen. Wenn Zarewitsch Alexej seine im 19. Jahrhundert sonst meist Frauenfiguren zugedachte Wahnsinnsarie beginnt, entdeckt er wie Kaiser Nero seine frauliche Seite und rammt seinem tätowierten Betthäschen den Dolch in den Unterleib. Mit solchen Akzenten strukturiert die szenische Seite Topoi des 19. Jahrhunderts, unterfüttert damit die knallige Opulenz sinnlich und sinnfällig. [...] Das zum Teil von weit her angereiste Publikum jubelte über etwas, was man weltweit derzeit nur in Meiningen erleben kann. „Santa Chiara“ ist die aufregendste mitteldeutsche Opernentdeckung aus dem 19. Jahrhundert seit Franz Liszts „Sardanapalo“-Fragment in Weimar 2018.
[Roland H. Dippel - Concerti, 20. Februar 2022]

Dennoch vertraut man in der Inszenierung von Hendrik Müller – in lustvoller Distanz – auf die theatralische Wirkung des Werks. Das gilt bereits fürs Bühnenbild. [...] Statt einem Palast im „sarmatischen Luxus“ und einem „Saal in byzantinischer Kirchenstil“ bestimmen nun eine surreale Ausstattung (Marc Weeger), groteske Frisuren und märchenhafte Kostüme (Katharina Heistinger) die Bühne. Aus einem Weinberg mit Winzern im letzten Akt ist hier eine Sportarena für die Heilige und ihre Anhängerschaft geworden. [...] Die Reise ins Theaterfürstentum lohnt! Zu genießen sind Opernkitsch und Trivialität, für die man sich nicht schämen sollte.
[Bernhard Doppler - Der Tagesspiegel, 21. Februar 2022]

Wer jetzt ein karg minimalistisches Bühnenbild mit Protagonisten im Businesslook befürchtet, wird angenehm „enttäuscht“. Ein dunkles, sattes Rot symbolisiert Macht und Stärke des Zarenhofes, das Interieur ist sparsam Ton in Ton und konzentriert den Blick. Auffällig sind die vielen Türen in den Wänden, durch die die Personen von Raum zu Raum, von Szene zu Szene getrieben werden wie gleich im ersten Aufzug, als die Geburtstagsfeier für Fürstin Charlotte stattfindet. Statt im Kreis von Familie und Gästen zu feiern, bleibt sie für sich. Alexej, mit dem sie aus politischen Gründen verheiratet wurde, verabscheut sie und will sie loswerden, um mit seiner Mätresse zu leben. Grotesk böse geschminkt mit gewaltiger Haartolle soll er zwar furchteinflößend wirken, doch fläzt er wie ein infantiles Riesenbaby auf rotem Plüsch, gefangen in seiner Rolle, neben sich seine Mutter, die gleich der „Queen“ keine Regung zeigt und beziehungslos zu ihrer Umgebung einfach nur dasitzt und raucht. Der Chor als feine Abendgesellschaft wartet im nächsten Raum vergeblich auf Charlotte. Chevalier Victor, der sie verehrt, ist blind für die Schönheiten des Lebens. Im Hintergrund tut sich ein Märchenwald auf, in dem eine überirdisch schöne Fee umgeben von Tieren eine heile Welt symbolisiert. Aber er beklagt sein unerfülltes Dasein. [...] Schon im Original wurde bemängelt, dass der Text teilweise recht wenig mit den Geschehnissen auf der Bühne zu tun hat. Dies gilt besonders für den ersten und zweiten Aufzug, weniger für den dritten. Deshalb war es schon eine Mammutaufgabe für Regisseur, GMD und Bühnenbildner, hier eine Beziehung zu schaffen. Jeder für sich hat nun die Wahl, wie er das einsortiert. Interpretationsansätze gibt es genug. Ist es Sehnsucht, Anspielung auf eine Welt, die von den Protagonisten nicht wahrgenommen wird? Die auffällig zahlreichen liedhaften Beschreibungen der Natur, die Verehrung des deutschen Landes lenken ab von den Machenschaften Gestörter hin zu einer schlichten Betrachtungsweise des Lebens. Es sei dem Zuschauer geraten, weniger auf das Textband zu achten und sich ganz dem Geschehen zu widmen. Nur so erfasst er die Entwicklung der Figuren, hat Muße, die ausgefallenen und prächtigen Kostüme zu betrachten, die teils märchenhaft opulent, aber auch modern und witzig sind. Nur so bleibt Zeit, dem raschen Wechsel von Raum zu Raum zu folgen und kuriose Details auszukosten, wenn zum Beispiel Christus sich nach getaner Auferweckung ein Zigarillo aus der Dornenkrone holt und genießt, Statisten mit schillernden Tiermasken plötzlich in Räumen auftauchen oder Bertha unter Chiaras Followern eimerweise Geld und Schmuck einsammelt. [...] Niemand will eine Traviata, eine Carmen oder einen Holländer aus dem Programm schmeißen, aber wie bereichernd und spannend wäre es, wenn mehr Häuser dem Meininger Beispiel folgen würden und solchen Raritäten einen festen Platz im Spielplan reservieren.
[Inge Kutsche - Der Opernfreund, 21. Februar 2022]

Die teilauthentische Handlung, die historische Bezüge zur heiligen Klara von Assisi, zum Ehetrauma der herzoglichen Eltern und dem 1853 ausgebrochenen Krimkrieg hat, weswegen der Bösewicht Russe ist, kann als schrilles Potpourri aus Ehefrauenmord, Wiederauferstehung und Rachegeschichte in ihrer dramaturgischen Inkonsequenz mit den schlechtesten Opern-Plots der Zeit mithalten. Dass der Regisseur Hendrik Müller in der Reanimation des Stückes am Meininger Staatstheater, wo „Santa Chiara“ jetzt Premiere feierte, die befreundete Gräfin Bertha (Marianne Schechtel) als Lesbierin sowie den bösen Gatten Zarewitsch Alexej (Johannes Mooser) und den feschen Helden Victor de St. Auban (Patrick Vogel) als queere Figuren mit Hüftschwung auftreten lässt, ist nur konsequent. Über die Geschmacklosigkeit, Jesus Christus mit blutigen Wundmalen und Dornenkrone das Geschäft des Wiedererweckens szenisch zu übertragen, kann man streiten: Tusch, Auferstehung, Christus raucht eine Zigarette. Dennoch: Inhaltlich ist da ohnehin kaum etwas zu retten, und wie bei Vorabendserien ist die Handlung Nebensache. Es geht um die Hauptfiguren und um uns als Zaungäste ihrer Schicksale. Prinzessin Charlotte (Lena Kutzner) steht nach einer schier endlosen Beerdigungsszene als heilige Klara wieder auf, hält in einer Zirkusmanege ihre Gottesdienste ab, wo Männer in Brautkleidern die Weihe empfangen, bis der mittlerweile in Wahn verfallende Gatte [...] auftaucht und von der wütenden Menge massakriert wird. [...] Bühne (Marc Weeger) und Kostüme (Katharina Heistinger) geben die ideale poppige Rahmung für etwas, das nicht wirklich ernst genommen werden will. [...] Man muss sich darauf einlassen wollen. Dann funktioniert auch „Santa Chiara“, die mit dem Begriff der Seifenoper am besten umschrieben ist, parfümiert, schäumend und vor allem: seifig.
[Christiane Wiesenfeldt - FAZ, 23. Februar 2022]

Von hinterhältigen Zaren und unternehmungstüchtigen Heiligen
Man kommt gut über die verstiegene Zeitgeistigkeit des Librettos von Charlotte Birch-Pfeiffer hinweg, die sich mit dem damaligen Bedürfnis nach Aufregendem aus dem Nähkästchen des Adels gut auskannte: [...] Regisseur Hendrik Müller bringt das Personal mit der Mätresse des Juniors und einer Queen Mum auf den Stand heutiger royaler Ikonographie. Er und sein Bühnenbildner Marc Weeger bleiben überhaupt zeitlich im exemplarisch Ungefähren. Historisches wird in den Kostümen von Katharina Heistinger nacherfunden. All das trägt zur notwendigen Distanz der Szenen in den angedeuteten Räumen des Zarenpalastes bei.
[Roberto Becker - Die Deutsche Bühne, 19. Februar 2022]

Aktuelle Arbeiten Fundus